Mitteilung der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge

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Mitteilung der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge

Mitteilung der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise

Von RA Dr. Arnold Autengruber, RA Dr. Günther Gast, RAA Mag. Marcel Müller

Die COVID-19-Pandemie ist eine globale Gesundheitskrise, die Staaten vor große Herausforderungen stellt. Eine dieser Herausforderungen ist die Versorgung der Bevölkerung, insbesondere des medizinischen Personals, mit persönlicher Schutzausrüstung (z.B. Gesichtsmasken oder Schutzhandschuhe) oder mit Medizinprodukten.

Die Europäische Kommission hat daher am 01.04.2020 Leitlinien zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

Ihr wesentlicher Inhalt kurz zusammengefasst:

I.    Wahl der Verfahren und Fristen für die öffentliche Auftragsvergabe

1. Verkürzte Fristen

Gemäß der klassischen Vergaberichtlinie (RL 2014/24/EU) betragen die allgemeinen Fristen:

Im offenen Verfahren für die Einreichung von Angeboten 35 Tage; im nicht offenen Verfahren ist eine Frist von 30 Tagen für die Einreichung von Teilnahmeanträgen und eine anschließende Frist von 30 Tagen für die Vorlage der Angebote vorgesehen.

Damit ein öffentlicher Auftrag in dringenden Fällen rasch vergeben werden kann, sieht die Richtlinie in diesen Fällen eine Verkürzung der allgemeinen Fristen vor. Es besteht die Möglichkeit, die Frist für die Einreichung von Angeboten im offenen Verfahren in Fällen einer hinreichend begründeten Dringlichkeit auf 15 Tage zu verkürzen. Im nichtoffenen Verfahren ist es möglich, die Frist für die Einreichung eines Teilnahmeantrags auf 15 Tage und für die Einreichung eines Angebots auf 10 Tage zu verkürzen. Durch die Verkürzung der Fristen im offenen bzw. nicht offenen Verfahren kann vor allem der mittelfristige Bedarf gedeckt werden.

Trotz der verkürzten Fristen wird ein Wettbewerb gewährleistet und die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz gelangen zur Anwendung. Es kann somit – im Vergleich zum Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung – ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis und ein breiterer Zugang von Unternehmen erzielt werden.

2. Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung

Nach der Richtlinie ist es in Ausnahmefällen zulässig, öffentliche Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung zu vergeben. Dieses Vergabeverfahren ist durch seine Schnelligkeit gekennzeichnet und stellt de-facto eine Direktvergabe dar.

Der öffentliche Auftraggeber ist an keine Fristen, an keine Mindestzahl zu konsultierender Bewerber und an keine Vorschriften hinsichtlich der Veröffentlichung oder sonstige verfahrenstechnische Anforderungen gebunden. Er kann daher direkt mit potenziellen Auftragnehmern verhandeln.

Der EuGH hat diesbezüglich wiederholt ausgesprochen, dass diese Verfahrensart nur in Ausnahmenfällen zur Anwendung gelangen solle, da vom Transparenzgrundsatz abgewichen werde (EuGH Komm/Deutschland; Consiglio Nazionale degli Ingegneri).

Das Verhandlungsverfahrens ohne Veröffentlichung kann angewendet werden, wenn dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die die betreffenden öffentlichen Auftraggeber nicht voraussehen konnten, es nicht zulassen, die Fristen einzuhalten, die für die offenen, die nichtoffenen Verfahren oder für die Vergabeverfahren mit Verhandlung vorgeschrieben sind. Die angeführten Umstände zur Begründung der zwingenden Dringlichkeit dürfen auf keinen Fall dem öffentlichen Auftraggeber zuzuschreiben sein. (Artikel 32 Absatz 2 Buchstabe c der Richtlinie).

Speziell auf die COVID-19-Pandemie bezogen bedeutet dies:

Die COVID-19-Pandemie sowie ihre spezifische Entwicklung stellt für die öffentlichen Auftraggeber ein Ereignis dar, welches sie im Voraus nicht vorhersehen bzw planen konnten.

Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Einhalten der Fristen möglich ist. In den meisten Fällen wird dieser Umstand für kurzfristige und dringende Vergaben in Anbetracht der ansteigenden Infektionskurve zu bejahen sein.

Das Verhandlungsverfahren soll nur eine Möglichkeit darstellen, um den unmittelbaren Bedarf zu decken und die Zeit überbrücken, bis mittel- bzw. langfristige Lösungen gefunden werden.

II.  Ergänzende Maßnahmen

Der europäische Vergaberechtsregime sieht weitere Möglichkeiten zur Beschleunigung der Auftragsvergabe vor. Öffentliche Auftraggeber können etwa

  • mit Auftragnehmern per Telefon, E-Mail oder persönlich Kontakt aufnehmen;
  • Agenten beauftragen, die gute Kontakte zu den Märkten haben;
  • Vertreter direkt in Länder versenden, in denen ausreichen Lagerbestände vorhanden ist;
  • mit potenziellen Lieferanten die Aufnahme, Wiederaufnahme oder Produktionssteigerung vereinbaren.

Öffentliche Auftraggeber sollen aufgrund der erhöhten Nachfrage und der eventuellen Störung der Lieferketten zur Deckung ihres Bedarfs nach alternativen und innovativen Lösungen suchen. Dies stellt eine Gelegenheit dar, strategische Aspekte der öffentlichen Auftragsvergabe miteinzubeziehen.

Neben der Betätigung des öffentlichen Auftraggebers auf dem Markt gibt es weitere Maßnahmen, um mit dem Markt zu interagieren und das Angebot zu stimulieren.

So können öffentliche Auftraggeber beispielsweise:

  • innovative digitale Instrumente nutzen, um eine Vielzahl von Wirtschaftsakteuren aufmerksam zu machen, welche alternative Lösungen anbieten können;
  • enger mit Innovationsökosystemen oder Unternehmernetzwerken zusammenarbeiten, die Lösungen anbieten können.

III.Rundschreiben des Bundesministeriums für Justiz

Flankierend zur Mitteilung der Europäischen Kommission hat auch das Bundesministerium für Justiz zu Geschäftszahl: 2020-0.196.642 ein Rundschreiben über die Anwendung der vergaberechtlichen Regelungen im Zusammenhang mit der COVID-Krise verfasst. Dieses beschäftigt sich unter anderem mit möglichen Ausnahmetatbeständen, der Anwendung von Sonderverfahren in Zusammenhang mit neu eingeleiteten Vergabeverfahren, verschiedenen Aspekte im Kontext laufender Vergabeverfahren (zB Fristen, Angebotsöffnungen, Hearings und Verhandlungsrunden) sowie Vertragsänderungen aufgrund unvorhersehbarer Umstände. Weiterführend zu den angesprochenen Themen bereits: https://www.chg.at/2020035-covid-19-entbindet-nicht-von-der-anwendung-des-bundesvergabegesetz-2018-gast-autengruber-mueller-chg/

IV. Fazit

Die Kommission hält in ihrer Mitteilung – wie auch schon in ihrer Mitteilung für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik von 2015 – am europäischen Vergaberegime ausdrücklich fest und zeigt die Optionen und Handlungsspielräume für die Beschaffung der zur Bewältigung der Krise erforderlichen Lieferungen, Dienstleistungen und sonstigen Leistungen innerhalb des EU-Vergaberahmens auf.

Sie stellt klar, dass öffentliche Auftraggeber – hinsichtlich ihres unmittelbaren und dringenden Bedarfs – die Möglichkeiten des EU-Vergaberecht voll ausschöpfen können. Verfahren mit verkürzten Fristen entsprechen dem mittelfristen Bedarf.

Ferner ermutigt sie öffentliche Auftraggeber auf Initiativen der Kommission zurückzugreifen, gemeinsame Beschaffungen vorzunehmen und dieser Zeit auch auf innovative und alternative Lösungen in Betracht zu ziehen.

Die europäischen Vergaberichtlinie wurden in Österreich durch das Bundesvergabegesetz 2018 („BVergG“) national umgesetzt. Die Ausführungen der Europäischen Kommission zeitigen daher auch unmittelbare Wirkungen für das Verständnis des österreichischen Vergaberechtsregimes. Die aufgezeigten Erleichterungen und Lockerungen der strengen Vergaberechtsvorschriften können daher auch von öffentlichen Auftraggebern in Österreich genutzt werden. Dies wird durch das flankierende Rundschreiben des Bundesministeriums für Justiz dokumentiert.

Die aufgezeigten Sondervorschriften ermöglichen öffentlichen Auftraggebern bei Einhaltung ihrer vergaberechtlichen Verpflichtungen eine bedarfsgerechte, rasche und rechtssichere Beschaffung von Gütern und Leistungen unter Berücksichtigung der derzeitigen außergewöhnlichen Lage infolge der COVID-19-Pandemie.

Diese Ausführungen stellen einen Überblick dar und können die Beratung im Einzelfall nicht ersetzen, da sich die Situation laufend ändert. Für Detailfragen steht Ihnen unser Team der CHG-Rechtsanwälte gerne zur Verfügung.

Dr. Arnold Autengruber und Dr. Günther Gast sind Partner, Mag. Marcel Müller ist Rechtsanwaltsanwärter bei CHG Czernich Rechtsanwälte.

Dr. Günther Gast, LL.M.

 

MMag. Dr. Arnold Autengruber

 

Mag. Marcel Müller