Keine Reduktion laufzeitunabhängiger Kosten bei vorzeitiger Rückzahlung von Hypothekar- oder Immobilienkrediten

EuGH verneint Rückerstattung laufzeitunabhängiger Kosten bei vorzeitiger Rückzahlung von Hypothekar- und Immobilienkrediten

von RA Dr. Daniel Tamerl und RAA MMag. Katharina Schwager

 

Das Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz (HIKrG) ist seit März 2016 in Kraft und seitdem auf Hypothekar- und Immobilienkreditverträge von Verbrauchern ausschließlich anzuwenden. Mit dem HIKrG wurde die (unionsrechtliche) Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2014 (WIKr-RL) in Österreich umgesetzt.

Der EuGH stellt mit seinem Urteil vom 9. 2. 2023 zu C-555/21 klar, dass nach der WIKr-RL bei einer vorzeitigen Rückzahlung des Kredites durch den Verbraucher zwar die laufzeitabhängigen, nicht aber die laufzeitunabhängigen Kosten des Immobilien- oder Hypothekarkredites zu ermäßigen sind. Eine Übersicht:

 

Vorzeitige Rückzahlung im HIKrG

Die vorzeitige Rückzahlung eines Kreditbetrags durch den Verbraucher regelt das HIKrG in seinem § 20, der auf Art 25 WIKr-RL beruht.

In § 20 Abs 1 HIKrG wird dem Verbraucher die Möglichkeit eingeräumt, die Verbindlichkeiten aus seinem Kreditvertrag ganz oder teilweise vorzeitig zu erfüllen. Als Ausgleich für den dem Kreditgeber dadurch allenfalls entstehenden Vermögensnachteil sehen § 20 Abs 2 und 3 HIKrG Regelungen über einen Entschädigungsanspruch (Vorfälligkeitsentschädigung) des Kreditgebers vor. § 20 Abs 4 HIKrG normiert Sonderregelungen für Hypothekarkredite, § 20 Abs 5 HIKrG solche für Kredite mit Tilgungsträger. Mit § 20 Abs 6 HIKrG wird dem Kreditgeber eine Informationspflicht auferlegt.

Die Regelungen zur Ermäßigung der Kosten bei vorzeitiger Rückzahlung in § 20 Abs 1 HIKrG wurden mit dem BGBl I 2021/1 novelliert. Im Zuge dessen wurde das Wort „laufzeitabhängige“ vor den zu ermäßigenden Kosten gestrichen, sodass sich nach dem neuen Wortlaut „die Kosten“ verhältnismäßig verringern. Diese Änderung geht auf die jüngste Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 11. 9. 2019, C-383/18 , Lexitor) zur wortgleichen Regelung im VKrG zurück, wonach Art 16 Abs 1 der (unionsrechtlichen) Verbraucherkreditrichtlinie 2008 – auf dem § 16 Abs 1 VKrG beruht – dahin auszulegen ist, dass sich bei vorzeitiger Kreditrückzahlung nicht nur laufzeitabhängige, sondern sämtliche dem Verbraucher auferlegte Kosten verhältnismäßig reduzieren. Sowohl § 16 Abs 1 VKrG alte Fassung (aF) als auch § 20 Abs 1 HIKrG aF sahen dagegen explizit vor, dass sich nur laufzeitabhängige Kosten aliquot verringern. Zwar erging diese Entscheidung des EuGH nicht unmittelbar zu Art 25 Abs 1 WIKr-RL, da der österreichische Gesetzgeber aber die Regelung des § 20 Abs 1 HIKrG wörtlich aus § 16 Abs 1 VKrG übernommen hat, entschied er sich dazu, parallel zu § 16 Abs 1 VKrG auch den wortgleichen § 20 Abs 1 HIKrG entsprechend abzuändern. Diese Novelle trat mit 1. 1. 2021 in Kraft. Sie ist – ohne Rückwirkung – nur auf jene Kreditverträge und Kreditierungen anzuwenden, die nach dem 31. 12. 2020 geschlossen bzw gewährt wurden (§ 31 Abs 5 HIKrG). Für Verträge, die vor dem 1. 1. 2021 abgeschlossen wurden, gilt im Anwendungsbereich des HIKrG somit weiterhin § 20 Abs 1 HIKrG aF, wonach sich ausdrücklich nur laufzeitabhängige Kosten verhältnismäßig verringern.

Dazu stellte sich nunmehr die Frage, ob Art 25 Abs 1 WIKr-RL nach den Kriterien der Lexitor-Entscheidung des EuGH auszulegen ist und damit kreditnehmenden Verbrauchern auch nach § 20 Abs 1 HIKrG aF eine Kürzung jener Kosten zusteht, die nicht von der Vertragslaufzeit abhängen.

 

Vorlage an den EuGH durch den OGH

Mit Beschluss vom 19.08.2021 hat der (österreichische) Oberste Gerichtshof (OGH 19.8.2021, 5 Ob 66/21y) dem EuGH gemäß Art 267 AEUV die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Artikel 25 Abs 1 der WIKr-RL dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass sich im Fall der Ausübung des Rechts des Kreditnehmers, den Kreditbetrag vor Ablauf der bedungenen Zeit zum Teil oder zur Gänze zurückzuzahlen, die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen und die von der Laufzeit abhängigen Kosten verhältnismäßig verringern, während es für laufzeitunabhängige Kosten an einer entsprechenden Regelung fehlt?

 

EuGH 9.2.2023, C-555/21

In seinem Urteil vom 9. 2. 2023 kam der EuGH zum Ergebnis, dass Art 25 Abs 1 WIKr-RL dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, die vorsieht, dass das Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits nur die Zinsen und die laufzeitabhängigen Kosten umfasst, nicht entgegensteht. Die wichtigsten Aussagen der Entscheidung im Überblick:

  • Aus dem 19. und 20. Erwägungsgrund der WIKr-RL geht hervor, dass diese Richtlinie aus Gründen der Rechtssicherheit mit anderen Rechtsvorschriften im Bereich Verbraucherschutz im Einklang stehen und diese ergänzen sollte. Nach dem 22. Erwägungsgrund dieser Richtlinie muss allerdings auch den Besonderheiten von Wohnimmobilienkreditverträgen Rechnung getragen werden, die einen differenzierten Ansatz rechtfertigen.

 

  • Das in Art 25 Abs 1 der WIKr-RL vorgesehene Recht auf Ermäßigung zielt nicht darauf ab, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, in der er sich befände, wenn der Kreditvertrag für eine kürzere Laufzeit oder einen geringeren Betrag oder ganz allgemein zu anderen Bedingungen geschlossen worden wäre. Es zielt vielmehr darauf ab, diesen Vertrag an sich durch die vorzeitige Rückzahlung ändernde Umstände anzupassen. Vor diesem Hintergrund kann dieses Recht nicht die Kosten umfassen, die unabhängig von der Vertragslaufzeit dem Verbraucher entweder zugunsten des Kreditgebers oder zugunsten Dritter für Leistungen auferlegt werden, die zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung bereits vollständig erbracht worden sind.

 

  • Nach Art 14 Abs 1 und 2 der WIKR-RL hat der Kreditgeber und gegebenenfalls der Kreditvermittler dem Verbraucher vorvertragliche Informationen mittels des in Anhang II dieser Richtlinie enthaltenen Europäischen standardisierten Merkblatts (ESIS-Merkblatt) mitzuteilen. Dieses Merkblatt sieht eine Aufschlüsselung der vom Verbraucher zu zahlenden Kosten danach vor, ob es sich um einmalige oder um regelmäßige Kosten handelt. Eine solche standardisierte Aufschlüsselung der dem Verbraucher auferlegten Kosten verringert aber den Handlungsspielraum, über den die Kreditinstitute bei ihrer Abrechnung und ihrer internen Organisation verfügen, erheblich und ermöglicht es sowohl dem Verbraucher als auch dem nationalen Gericht, zu prüfen, ob eine Art von Kosten objektiv mit der Vertragslaufzeit zusammenhängt.

 

  • Art 41 lit b der WIKR-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes, sicherzustellen, dass die Vorschriften, die sie zur Umsetzung dieser Richtlinie verabschieden, nicht durch eine besondere Gestaltung der Verträge in einer Weise umgangen werden können, durch die Verbrauchern der durch diese Richtlinie gewährte Schutz entzogen wird. Um diesen Schutz zu gewährleisten, haben die nationalen Gerichte dafür Sorge zu tragen, dass die Kosten, die dem Verbraucher unabhängig von der Laufzeit des Kreditvertrags auferlegt werden, nicht objektiv ein Entgelt des Kreditgebers für die vorübergehende Verwendung des vertraglich vereinbarten Kapitals oder für Leistungen darstellen, die dem Verbraucher zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung noch erbracht werden müssten. Der Kreditgeber muss insoweit nachweisen, ob es sich bei den betreffenden Kosten um einmalige oder um regelmäßige Kosten handelt.

 

 

Ausblick

Der EuGH hat mit dieser Entscheidung klargestellt, dass laufzeitunabhängige Kosten (wie etwa Bearbeitungsentgelte) bei vorzeitiger Rückzahlung von Hypothekar- oder Immobilienkrediten nach Art 25 Abs 1 WIKr-RL grundsätzlich nicht rückzuerstatten sind. Für die österreichische Rechtslage bedeutet dies, dass Verbrauchern bei vorzeitiger Rückzahlung nach § 20 Abs 1 aF HIKrG keine Kürzung von Kosten zusteht, die nicht von der Vertragslaufzeit abhängig sind. Die entsprechende Entscheidung des OGH steht aber noch aus. Offen ist darüber hinaus, welche Auswirkungen diese Entscheidung des EuGH für § 20 Abs 1 nF HIKrG hat, der nach seinem Wortlaut nicht nach laufzeitabhängigen und laufzeitunabhängigen Kosten unterscheidet.

 

Disclaimer

Diese Ausführungen geben einen allgemeinen Überblick über die jüngste Judikatur zur vorzeitigen Rückzahlung von Verbraucherkrediten. Der Beitrag kann eine Beratung im Einzelfall aber nicht ersetzen. Für Detailfragen steht Ihnen unsere Praxisgruppe Banking & Finance gerne zur Verfügung.

 

 

Daniel Tamerl ist Rechtsanwalt und Partner, Katharina Schwager ist Rechtsanwaltsanwärterin bei CHG Czernich Rechtsanwälte Innsbruck.

Daniel Tamerl