Die Umsetzung der Verbandsklagen-RL in Österreich

Die Umsetzung der Verbandsklagen-RL in Österreich

RA Dr. Daniel Tamerl, Mag. Tim Greber

Die Richtlinie (EU) 2020/1828 vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (im Folgenden kurz „Verbandsklagen-RL“) wurde am 4.12.2020 im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. L 409/1) veröffentlicht. Sie möchte sicherstellen, dass in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wirksame prozessuale Mittel zur Verfügung stehen, um unerlaubte Praktiken, welche die Interessen einer großen Zahl von Verbrauchern bedrohen oder schädigen, zu beenden und für Verbraucher überdies in derartigen Konstellationen die Möglichkeit für Abhilfe in jeglicher Form schaffen.  Die Verbandsklagen-RL hätte bis zum 25.12.2022 ins österreichische Recht umgesetzt werden müssen; die Umsetzung hätte mit 25.06.2023 in Kraft treten müssen. Dies ist nicht erfolgt.

Seit 14.06.2024 liegt nun aber eine Regierungsvorlage (2602 der Beilagen) zur Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle (Entwurf für ein Bundesgesetz, mit dem ein Qualifizierte Einrichtungen Gesetz erlassen wird und die Zivilprozessordnung, das Konsumentenschutzgesetz, das Gerichtsgebührengesetz und das Rechtsanwaltstarifgesetz geändert werden) vor.

Die klagsweise Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen im Verbandsprozess stellt bekanntlich keine vollkommen neue Errungenschaft für das österreichische Recht dar.Die vorliegende Regierungsvorlage eröffnet nun aber die weitergehende Möglichkeit einer Verbandsklage auf Unterlassung und Abhilfe gegen unerlaubte Praktiken von Unternehmen. Auf Unternehmer könnten komplizierte Verfahren zukommen.

Klagslegitimation der qualifizierten Einrichtungen

Die Unterlassungs- und Abhilfeansprüche können im Verbandsprozess künftig durch qualifizierte Einrichtungen geltend gemacht. Dazu sieht die Regierungsvorlage die Schaffung des Qualifizierte Einrichtungen Gesetz (QEG) sowie umfassende Neuregelungen der Zivilprozessordnung §§ 619 ff ZPO) vor. Das QEG regelt das Zulassungs- und Überwachungsverfahren für qualifizierte Einrichtungen. Im Einzelnen statuiert das QEG die genauen Voraussetzungen zur Erlangung des Status der qualifizierten Einrichtung und dessen Kompetenzen. Als qualifizierte Einrichtungen iSd QEG gelten jedenfalls die klagslegitimierten Verbände gemäß §§ 28ff KSchG.

Möglicher Klageinhalt einer Verbandsklage

Auf Rechtsverletzungen von Unternehmen, welche die kollektiven Interessen von Verbrauchern beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen, kann durch die Verbandsklage auf Unterlassung reagiert werden. Sind den Verbrauchern bereits konkrete Ansprüche entstanden, können diese ebenfalls Inhalt der Klage sein. Aufgrund dessen ist sowohl eine Verbandsklage auf Unterlassung als auch auf Abhilfe möglich. Dies bedeutet, dass konkrete Leistungsansprüche einzelner Parteien gesammelt durchgesetzt werden können und nicht mehr einzeln ein Individualprozess angestrebt werden muss. Die Verbandsklage auf Abhilfe kann auf jede Form der Leistung oder Rechtsgestaltung gerichtet sein. Eine Verbandsklage auf Abhilfe kann beispielsweise Schadenersatzansprüche oder Gewährleistungsansprüche von einer großen Zahl von Verbrauchern gegen ein Unternehmen zum Inhalt haben.

Verbandsklage auf Abhilfe

Die Verbandsklage auf Abhilfe gemäß § 5 Abs 3 Z 1 lit b und Z 2 QEG und §§ 623 ff ZPO verwirklicht ein völlig neues Verfahrenskonzept, das jedoch dasselbe Ziel wie die Sammelklage österreichischer Prägung verwirklichen möchte. Ein konkretes Leistungsbegehren kann durch die qualifizierte Einrichtung gegen ein Unternehmen gemäß §§ 623ff ZPO geltend gemacht werden. Auch eine Rechtsgestaltung kann in diesem Wege bewirkt werden. Damit ein individueller Verbraucher von den Rechtswirkungen der Verbandsklage profitieren kann, ist eine aktive Beteiligung des Verbrauchers durch ein Opt-in erforderlich. Dies könnte in Zukunft durch Ausfüllen eines Onlineformulars erfolgen.

Zum Zeitpunkt der Klageerhebung müssen sich bereits mindestens 50 Verbraucher dem Verfahren angeschlossen haben. Enthält die erhobene Klage eine entsprechende Erklärung, können sich während des laufenden Verfahrens zusätzlich Verbraucher beteiligen und von den Rechtswirkungen der Entscheidung profitieren.

Die Regierungsvorlage enthält in § 635 ZPO eine praktisch sehr relevante Bestimmung zur Verjährung. Erfolgt die Beteiligung des Verbrauchers erst während des laufenden Verfahrens, führt dies rückwirkend zum Zeitpunkt der Klageerhebung zu einer Ablaufhemmung der individuellen Verjährungsfrist. Dies könnte eine bereits eingetretene Verjährung rückwirkend beseitigen.

Gemäß § 626 ZPO teilt sich die Verbandsklage auf Abhilfe in drei Abschnitte. Im Zuge des ersten Abschnittes erfolgt die Prüfung der Voraussetzungen eines Verbandsklageverfahrens. Liegen diese vor, entscheidet das Gericht im zweiten Verfahrensabschnitt über gestellte Zwischenfeststellungsanträge. Zu guter Letzt spricht das Gericht im dritten Verfahrensabschnitt über die einzelnen Leistungsbegehren jedes Verbrauchers ab. Das Endurteil verpflichtet bei Klagserfolg den Unternehmer zu konkreten Leistungen an jeden einzelnen Verbraucher. Dies führt für den Verbraucher zum selben Ergebnis, als hätte dieser selbst einen Individualprozess angestrebt.

Prozessfinanzierung

Der österreichische Umsetzungsvorschlag erlaubt die Drittfinanzierung des Verbandsprozesses (§ 6 QEG). Dies gestattet die Verbandsklage-RL grundsätzlich, doch sie fordert die Legung des Fokus der Rechtsverfolgung auf dem Schutz von Kollektivinteressen der Verbraucher. Die Sicherstellung dieses Kriteriums erfolgt durch den genau überwachten Prozess der Anerkennung des Status als qualifizierten Einrichtung.

Qualifizierten Einrichtungen steht es gemäß § 9 Abs 3 QEG frei, Beitrittsgebühren für die Verbraucher festzulegen. Ist eine Beteiligung am Prozess gewollt, muss diese Gebühr zwingend von jedem einzelnen Verbraucher entrichtet werden. Die Beitrittsgebühr darf weder 20 % der geltend gemachten Anspruchssumme des jeweiligen Beteiligten noch den Betrag von 250 Euro überschreiten. Einen Individualprozess ist in der Regel um einiges kostenintensiver als 250 Euro.

Fazit

Die neu präsentierte Verbandsklage ermöglicht einer großen Anzahl von Verbrauchern vergleichbare Ansprüche durchzusetzen. Dies ist nicht wie bisher im Verbandsprozess nach §§ 28ff KSchG auf Unterlassungsansprüche beschränkt, sondern es können auch Leistungs- und Rechtsgestaltungsansprüche im Klageweg durchgesetzt werden. In der Praxis kann dies voraussichtlich dazu führen, dass eine große Anzahl von Verbrauchern nicht mehr einzeln gegen Unternehmen vorgehen werden, sondern sich lediglich durch ein Opt-in am Verfahren beteiligen werden. Das im Verbandsprozess gefällte Urteil führt für den (sich beteiligenden) Verbraucher zum selben Ergebnis, als hätte dieser einen Individualprozess selbst angestrebt.

Auf Unternehmen mit Massengeschäften, etwa Banken, Versicherungen, Seilbahnunternehmen oder Energieversorger kommen künftig große Herausforderungen zu. Gerne unterstützen wir Sie bei der Abwehr von vermeintlichen Forderungen in Verbandsverfahren. Unser Team steht Ihnen gerne zur Seite.

 

Daniel Tamerl

CHG Rechtsanwälte - Tim Greber

Tim Greber