COVID-19 entbindet nicht von der Anwendung des Bundesvergabegesetz 2018
Von RA Dr. Günther Gast, RA Dr. Arnold Autengruber, RAA Mag. Marcel Müller
1. Einleitung
Als die ersten Berichte über ein neuartiges Virus Österreich erreichten, waren die beträchtlichen, auch wirtschaftlichen, Folgen nicht absehbar. Mittlerweile handelt es sich um eine weltweite Pandemie. In Österreich gibt es über 5.000 bestätigte Fälle und die Zahlen steigen rasant an. Um den betroffenen Menschen zu helfen und die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, benötigt der Staat, in seinen unterschiedlichen Erscheinungs-formen, einer Vielzahl von (zugekauften) Leistungen. Zu denken ist beispielsweise an die Beschaffung von zusätzlichen Krankenbetten, Beatmungsgeräten oder Schutzmasken.
Das Bundesvergabegesetz 2018 („BVergG“) regelt unter anderem Verfahren zur Beschaffung von Leistungen im öffentlichen Bereich. Öffentliche Auftraggeber im Sinne des BVergG sind beispielsweise der Bund, die Länder oder die Gemeinden, aber auch Tochtergesellschaften von diesen Gebietskörperschaften (sogenannte Einrichtungen des öffentlichen Rechts).
Wenn etwa der Bund in Anbetracht des sich ausbreitenden Virus verschiedene Leistungen vom Markt einkauft, unterliegen diese Vorgänge grundsätzlich dem BVergG. Gleiches gilt für kommunale Versorgungs- und Infrastrukturunternehmen, die Schutzmasken und sonstige Ausrüstung für Ihre Mitarbeiter in versorgungskritischen Infrastrukturbereichen besorgen müssen. Die Versorgung nimmt hier fallweise mehr Zeit in Anspruch, da der öffentliche Auftraggeber im Gegensatz zu einem privaten Auftrag-geber die Regelungen des BVergG anzuwenden hat.
In der Folge soll der Frage nachgegangen werden, wie mit der Vergabe von öffentlichen Aufträgen in dieser Zeit umzugehen ist.
2. Ausnahmen vom BVergG
Ausnahmen vom BVergG müssen sich aus dem Gesetz selbst ergeben, sei es, dass eine ausdrückliche Ausnahme vom Geltungsbereich des Vergaberegimes anwendbar ist, sei es, dass der wirtschaftliche Vorgang nicht in den Anwendungsbereich des BVergG fällt (EuGH Mannesmann Anlagenbau Austria).
Das BVergG beinhaltet eine Reihe von Ausnahmen. Eine im Zuge der Corona-Krise erwähnenswerte Ausnahmebestimmung ist in § 9 Abs 1 Z 17 BVergG zu finden. Demnach sind Dienstleistungsaufträge im Bereich des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden sowie unter bestimmte CPV-Codes (also einheitliche Klassifizierungs-nummern nach einem europaweit standardisierten System) fallen, vom BVergG ausgenommen. Bei der Corona-Pandemie handelt es sich um eine akute Krise im Gesundheitsbereich (vgl Beschluss Nr 1313/2013/EU). Dienstleistungsaufträge im Zusammenhang mit der Pandemie dienen somit der Gefahrenabwehr bzw. dem Zivilschutz (Erl RV 69 BlgNr 26. GP).
Dienstleistungsaufträge, die unter bestimmte CPV-Codes fallen und von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden, sind somit vom BVergG ausgenommen. Nennenswert sind hier in Zusammenhang mit der aktuellen Corona-Krise folgende CPV-Codes: 75252000-7 (Rettungsdienste) und 85143000-3 (Einsatz von Krankenwagen).
3. Die Möglichkeit eines beschleunigten bzw. vereinfachten Verfahrens
Wenn kein Ausnahmetatbestand angewendet werden kann und der Beschaffungs-vorgang dem BVergG unterliegt, ist ein Vergabeverfahren nach den Regelungen des BVergG durchzuführen.
Grundsätzlich ist der Auftragswert bei der Wahl des Vergabeverfahrens, wie auch bei der Unterteilung in Oberschwellen- und Unterschwellenbereich, wesentlich. Die Grundlage für die Berechnung des geschätzten Wertes eines Auftrages ist der Gesamtwert ohne Umsatzsteuer. Es sind dabei alle zum Vorhaben gehörigen Leistungen zu berücksichtigen. Auf dieser Grundlage ist für den Auftrag das passende Verfahren zu wählen. Dabei gilt der Grundsatz: Je höher der Auftragswert, desto vergaberechtlich regulierter und aufwändiger stellt sich das Verfahren dar.
Es stehen einem öffentlichen Auftraggeber unter Beachtung der vergaberechtlichen Vorgaben unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, um Verfahren rasch und rechtssicher abzuwickeln. Diese Handlungsspielräume sind vor Einleitung eines Beschaffungsvorhabens zu evaluieren, um die Potentiale bestmöglich im Sinne aller Verfahrensbeteiligten nutzen zu können.
Bei der Direktvergabe handelt es sich um ein Verfahren, bei dem eine Leistung, gegebenenfalls nach Einholung von Angeboten von einem oder mehreren Unter-nehmern, formfrei vom ausgewählten Unternehmer bezogen wird. Der Auftraggeber kann dabei auch nur ein Angebot einholen. Durch dieses Verfahren wird dem Auftraggeber eine formfreie und rasche Beschaffung ermöglicht. Die Direktvergabe ist aufgrund der möglichen wettbewerbsverzerrenden Wirkungen nur im Unterschwellen-bereich und bis zu einem bestimmten Auftragswert (EUR 100.000,- oder als Direktvergabe mit vorheriger Bekanntmachung EUR 130.000,- bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und EUR 500.000,- bei Bauaufträgen) zulässig. Zudem ist das vergaberechtliche Umgehungsverbot zu beachten. Aufträge dürfen daher nicht in kleine Portionen aufgeteilt werden, um sämtliche Teilleistungen unter Aushebelung des Vergaberechts direkt zu beschaffen.
Zudem steht es dem öffentlichen Auftraggeber bei Vorliegen hinreichend begründeter Dringlichkeit frei, ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen. Bei dem beschleunigten Verfahren können die Angebots-Fristen je nach Verfahrensart auf 10 bis 15 Tage verkürzt werden und somit rasch ein Vertrag abgeschlossen werden.
Ein weiterer Handlungsspielraum eröffnet sich bei der Wahl des anzuwendenden Vergabeverfahrens: Der öffentliche Auftraggeber kann Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben. Das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung ist insoweit eine Erleichterung für den Auftraggeber, als es ihm ermöglicht, eine beschränkte Anzahl von geeigneten Unternehmen zur Abgabe von Angeboten aufzufordern. In der Folge kann direkt über den Auftragsinhalt verhandelt werden.
Voraussetzung dafür ist, dass äußerst dringliche und zwingende Gründe vorliegen, die nicht dem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zuzuschreiben sind, im Zusammen-hang mit Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte und die es nicht zulassen, vorgeschriebene Fristen einzuhalten (§§ 35 ff BVergG).
Die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung ist allerdings unzulässig, wenn es möglich ist, eine Leistung zeitgerecht in einem beschleunigten Verfahren wegen dem Vorliegen dringender, zwingender Gründe, auszuschreiben (EuGH Kom/Spanien).
Schließlich erweist sich das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung auch als probater Weg für die Beschaffung eines noch herzustellenden neuen Impfstoffs gegen das Corona-Virus. Der öffentliche Auftraggeber kann den Impfstoff unter gewissen Umständen, aufgrund eines ausschließlichen Rechts, im diesem vereinfachten Vergabe-verfahren beziehen. Umfasst werden Fälle, in denen ein bestimmter Unternehmer das ausschließliche Verfügungs- oder Nutzungsrecht für den Impfstoff besitzt und dieser nur von einem bestimmten Unternehmer hergestellt oder geliefert wird (EuGH Kom/Spanien).
Bedeutsam kann auch jener Fall sein, bei dem ein öffentlicher Auftraggeber bereits vor Ausbruch des Corona-Virus mit einem Auftragnehmer einen Vertrag oder eine Rahmen-vereinbarung geschlossen hat und als Folge des Virus eine deutlich erhöhte Nachfrage seitens des Auftraggebers besteht (man denke an bestehende Lieferverträge über Desinfektionsmittel). Da die Änderung des Vertrags bzw. der Rahmenvereinbarung aufgrund von Umständen erforderlich wurde, die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender Auftraggeber nicht vorhersehen konnte, muss der Auftrag bei Einhaltung der vergaberechtlichen Vorgaben nicht erneut ausgeschrieben werden (§ 365 BVergG). So können bestehende Verträge erweitert und / oder angepasst werden.
4. Zusammenfassung
Insgesamt lässt sich festhalten: Es gibt im Hinblick auf das Corona-Virus keine ausdrückliche und umfassende Ausnahme vom BVergG. Das BVergG ermöglicht es einem öffentlichen Auftraggeber jedoch in dringenden Fällen, wie bei der derzeitigen Corona-Pandemie, beschleunigte bzw. erleichterte Verfahren durchzuführen und bestehende Verträge entsprechend anzupassen. Die im BVergG vorgesehenen Möglichkeiten sind jedenfalls mit Bedacht zu wählen, um langwierige Rechtsmittelverfahren und mögliche Schadenersatzforderungen zu vermeiden.
Diese Ausführungen stellen einen Überblick dar und können die Beratung im Einzelfall nicht ersetzen, da sich die Situation laufend ändert. Für Detailfragen steht Ihnen unser Team der CHG-Rechtsanwälte gerne zur Verfügung.
Dr. Arnold Autengruber und Dr. Günther Gast sind Partner, Mag. Marcel Müller ist Rechtsanwaltsanwärter bei CHG Czernich Rechtsanwälte.